Der „aktive Patient“ als wesentlicher Faktor der Patientensicherheit
© NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft 2020
Im Interesse der Lesbarkeit hat der Autor auf eine geschlechtsbezogene Formulierung verzichtet. Selbstverständlich sind immer Frauen und Männer gemeint, auch wenn explizit nur eines der Geschlechter angesprochen wird.
Einleitung
Im Bereich der Patientensicherheit rückt die Rolle des „aktiven Patienten“, oder seit den 2000er Jahren auch als „kompetenter Patient“ bezeichnet, immer mehr in den Fokus. Sehr viele Patienten wünschen sich, aktiv und vermehrt in den Behandlungsprozess miteingebunden zu werden. Die Wahrnehmungen der Patienten in die Prozesse, Tätigkeiten und Handlungen aller Akteure während des Aufenthaltes stellen eine enorm wichtige Quelle dar, die vor allem von den Einrichtungen selbst systematisch genutzt werden sollte.
Hauptteil
Studien und Experten zeigen, dass mit der aktiven Einbindung und Integration der Patienten in den Entscheidungs- und Behandlungsprozess, Informationen gewonnen werden können, die sich außerhalb der Reichweite von Ansätzen und Instrumenten des klassischen klinisches Risikomanagements befinden. Die sich über die Jahrzehnte verändernde Rolle der Patienten und deren unterschiedlichen Integration in den Behandlungsprozess stellt die folgende Tabelle dar:
Somit wurde die Chance erkannt, Patienteninformationen und Rückmeldungen zu nutzen, um Fehler zu reduzieren und Aufenthalte sicherer zu machen. Diese Tatsache wurde und wird den Mitarbeitern der Krankenhäuser und sonstigen Einrichtungen als auch den Patienten immer mehr bewusst.
Eine Tatsache unterstreicht das enorme Potential der Patienten während des Aufenthalts in Bezug auf Informationen und Beobachtungen: Sie sind in jedem Behandlungsschritt, bei jedem Gespräch, bei jeder Visite, bei jeder Untersuchung usw. direkt anwesend und zugleich betroffen. Aufgrund dieser Tatsache sind Patienten sehr oft in der Lage, Abweichungen zu bisherigen Informationen oder geplanten Schritten, Abweichungen zu eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen, oder Änderungen in der Medikation und vieles mehr, wahrzunehmen.
Und genau hier liegt die Herausforderung und die Chance zugleich. Die Wahrnehmung oder Beobachtung eines „Fehlers“, oder z. B. unstimmige oder nicht einheitliche Aussagen und Vorgehensweisen zu erkennen ist das Eine, das Hinter- oder Rückfragen, das Nachfragen, das Darauf hinweisen, das Ansprechen im Allgemeinen das Andere. Hierzu wurden mehrere Studien durchgeführt. Eine anschauliche Studie von Waterman et al. aus dem Jahre 2006 (siehe nächste Abbildung) kommt zu dem Ergebnis, dass von über 2000 befragten Patienten, 91% der Meinung sind, dass sie als Patient zur Fehlervermeidung beitragen können. Die Studie stellt des Weiteren die Kluft dar, zwischen der Bereitschaft von Patienten sicherheitsrelevante Punkte anzusprechen oder durchzuführen, und der tatsächlichen Umsetzung.
Beispiele für Situationen wo Patienten Unregelmäßigkeiten, Auffälligkeiten oder mögliche Fehler wahrnehmen können:
- Patient bekommt erstmals und ohne Info eine große Kapsel anstatt einer kleinen Tablette
- Patient erhält überaschenderweise gar keine Medikamente
- Patient wird ohne Indikation oder entsprechender Information bzw. Bekanntgabe zu einer Untersuchung gebracht
- Patient erhält ohne entsprechende Information oder Aufklärung eine Injektion oder Infusion
- Beim Patienten wird 2-mal hintereinander von verschiedenen Mitarbeitern Blut abgenommen
- Vor der Operation wird die rechte anstatt der linken Schulter markiert
- Ohne genaue Zeitinformation soll eine Untersuchung durchgeführt werden, die einer Nüchternheit bedarf. Der Patient bekam die Info aber nicht und ist nicht nüchtern.
Die angeführte Liste an Beispielen könnte beliebig weiter ausgeführt werden, hat jedoch primär nur den Zweck, Patienten Praxisbeispiele zu geben und sie in weiterer Hinsicht diesbezüglich zu sensibilisieren.
Unabhängig der Art der Einrichtung ist die erste Phase des Patienten gekennzeichnet von Aufnahmegesprächen, Untersuchungen, Einschätzungen und Planungen. Diese Phase ist auch von den elementarsten Faktoren in der Interaktion zwischen Personal und Patienten in Bezug auf Patientensicherheit geprägt: die Informationsweitergabe und Kommunikation. Herausfordernde Personalsituationen, komplexe Abläufe, eine hohe Anzahl an aufzunehmenden und zu entlassenden Patienten und viele Schnittstellen können in Krankenanstalten dazu führen, dass wertvolle Patienteninformationen untergehen, nicht übergeben oder übersehen werden. Aus diesem Hintergrund heraus ist es umso wichtiger, dass Patienten dem behandelnden Personal lückenlose Informationen, Befunde und Besonderheiten zur Verfügung zu stellen, um es dem Personal zu ermöglichen, sich ein möglichst lückenloses Bild über den Patienten machen zu können. Für den Patienten entstehen in diesem Zeitraum verständlicherweise auch viele Fragen und Unklarheiten, daher ist es umso wichtiger, dass Patienten sich trauen bei Unklarheiten Fragen zu stellen, nachzufragen und ganz wichtig, bestehende Bedenken klar anzusprechen. Vom Patienten in der richtigen Art und Weise formuliert, wird auch das Personal darüber dankbar sein, und wertvolle Hinweise gerne annehmen und berücksichtigen. Ziel des behandelnden und pflegenden Personals muss es daher sein, es dem Patienten zu ermöglichen, Ängste, Sorgen, Fragen und Bedenken offen ansprechen zu können. Das Nachfragen, Nachhacken der Patienten, Informationsabgleiche, sowie die Einbindung der Erfahrung und des Wissens der Patienten in der ersten Phase des Aufenthaltes, stellen eine effektive Möglichkeit zur Verbesserung der Kommunikation und des Informationsaustausches und zur Reduktion diesbezüglicher Fehlerquellen dar.
Für die zweite Phase, also dem Zeitraum wo Behandlung, Pflege, Therapie usw. bereits stattfindet, sollen nun drei exemplarische Beispiele für die aktive Integration der Patienten in den Behandlungsprozess dargestellt werden. Ein Bereich, der fast alle Einrichtungen und Phasen betrifft, ist die Medikation. Aufgrund von bereits zuvor angeführten Faktoren in Krankenanstalten kann es trotz gut ausgebildeten und engagierten Personals immer wieder vorkommen, dass Patienten beispielsweise die falschen Medikamente bekommen, Patienten verwechselt werden oder Allergien aus verschiedenen Gründen gar nicht berücksichtig werden, und vieles mehr. Im Bereich der Medikamentensicherheit nimmt der „aktive“ Patient eine zentrale Rolle ein. Häufig kennen Patienten seit Jahren ihre Medikamente und registrieren jegliche Abweichung oder Änderung. Daher ist es essentiell, dass Patienten über Grund, Wirkung und Nebenwirkungen der Medikation ausreichend Bescheid wissen. Bei nicht besprochener oder nicht nachvollziehbarer Medikamentenänderungen oder zusätzlicher Medikamentengaben sollte sofort nachgefragt und auf Gegebenheiten oder Unklarheiten hingewiesen werden.
Als weiterer Bereich ist die Hygiene (v.a. die Handhygiene) ein klassisches Beispiel für eine phasenübergreifende Thematik, die von Ankunft in der Einrichtung bis hin zur Entlassung präsent und aktuell ist. Fachgesellschaften, Experten, als auch die WHO empfehlen daher die explizite Einbindung von Patienten in die Händehygiene. Hier lassen sich in der Praxis häufig zwei Ansätze finden. Im ersten Ansatz wird der Patient mit entsprechender Schulung darauf sensibilisiert und angehalten, darauf zu achten, ob sich das behandelnde Personal an bestehende Hygienevorschriften hält, und ob diese auch entsprechend umgesetzt werden. Der Patient ist hier also Beobachter und sollte im Idealfall auf fehlende Händedesinfektion hinweisen oder nachfragen. Der zweite Ansatz beschreibt die Händedesinfektion und -hygiene des Patienten selbst. Insofern dies nicht bereits vom Personal durchgeführt wurde, kann dies in weiterer Folge auch bedeuten, dass der Patient seine Angehörigen oder Besucher über Hygienemaßnahmen informiert und diese in die Händehygiene einbindet.
Zunehmend lassen sich in Einrichtungen sogenannte Patientensicherheitsfolder oder -handbücher finden. Solche Handbücher oder Folder sollen dem Patienten einerseits Information bieten, in welchen Bereichen, Tätigkeiten oder Situationen sie aktiv als Patient tätig werden können/sollen, bzw. worauf besonderes Augenmerk gelegt werden sollte. Auf der anderen Seite dienen sie dazu, Patienten zu ermutigen, sich aktiv in den Behandlungsprozess einzubringen. Es gibt verschiedene Plattformen und Anbieter die gratis Vorlagen zur Verfügung stellen. Sollte eine Einrichtung diesbezüglich nichts anbieten oder aufliegend haben, könnte bereits hier der Patient aktiv werden und danach fragen bzw. zumindest gleichwertige Informationen einfordern.
Schluss
Die Einbindung des „aktiven“ Patienten in den Behandlungsprozess birgt für das behandelnde Personal, aber vor allem für den Patienten, die Chance, die Sicherheit während des Aufenthaltes zu erhöhen und Fehler zu vermeiden. Hierbei ist die Kenntnis, die Wahrnehmung und der richtige Zugang zum Aspekt „aktiver“ Patient auf beiden Seiten elementar. Die nachfolgende Abbildung zeigt die Einschätzung der Rolle des aktiven Patienten in der Fehlervermeidung. Es wird sowohl die Einschätzung des Krankenhauspersonals- als auch die der Patientenseite dargestellt.
Abschließend soll gesagt werden, dass die Integration des Patienten in den Behandlungsprozess die Patientensicherheit erhöhen kann. Neben der Bereitwilligkeit und Mitwirkung des Patienten ist einer der zentralen Aspekte die Bereitschaft der Organisation und der Mitarbeiter, den erforderlichen Rahmen und die Struktur zu schaffen, damit der Patient „aktiv“ werden kann. Schafft es die Einrichtung mit ihren Mitarbeiten eine Kultur für den aktiven und integrierten Patienten zu schaffen und die gewünschte Einbindung und Offenheit von Seiten der Mitarbeiter an den Patienten zu transportieren, bieten sich abseits der Patientensicherheit Vorteile sowohl für den Patienten, als auch für die Mitarbeiter, und in weiterer Folge für die gesamte Organisation.
Quellen:
Conen, D. (2014, März 17. & 18.). „Machtfaktor Patient 3.0“. Präsentation am 2014 Careum Congress, Basel, Zugriff am 19.1. 2020 unter https://www.careum.ch/documents/20181/86428/140316_Conen_Patientenbeteiligung.pdf/ab04b7e8-81eb-435f-8575-0aa939b194f6?version=1.0
Nagel, G. (2010). Patientenkompetenz. In P. Holzhauer & U. Gröber (Hrsg.), Checkliste Komplementäre Onkologie (344-353). Stuttgart: Hippokrates Verlag