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Im folgenden Artikel sollen Aspekte dargestellt werden, die in der Praxis die Integration und Etablierung von Risikomanagement (RM) in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen behindern oder erschweren. Dieser Artikel basiert auf einer Diplomarbeit des Autors. Ziel der Diplomarbeit war es, Lösungsansätze für hemmende Faktoren zu erarbeiten und darzustellen. In diesem Artikel sollen 2 hemmenden Faktoren daraus beleuchtet werden. Das erste Problemfeld beschreibt die fehlende oder nur teilweise vorhandene Integration des Risikomanagements in Führungs- bzw. Strategieprozesse. Das zweite Problemfeld betrifft den Ausbildungsstand und die personellen Ressourcen der RisikomanagerInnen, sowie der entsprechenden Abteilungen und Stellen in den Krankenhäusern. Selbstverständlich stellen diese 2 genannten Faktoren nur einen Teil einer Vielzahl weiterer relevanter Faktoren und Umstände aus der Klinikpraxis dar.
Sachverständige, Gerichte und PatientInnenanwaltschaften betrachten bei schwerwiegenden Vorfällen oftmals das System und die Organisation hinter dem Zwischenfall. Eine profunde Risiko- respektive Fehleranalyse kann nur dann gelingen, wenn Ursachen, Hintergründe und Faktoren betrachtet werden, die das Ereignis ermöglicht oder begünstigt haben. Reflektorisch immer die Schuld bei MitarbeiterInnen zu suchen, ist methodisch, als auch moralisch „falsch“. Vielmehr wird die Organisation mit ihren Prozessen, Abläufen, Instrumenten und Verfahren analysiert, um darin mögliche Fehlerquellen, oder fehlende Verantwortung oder Engagement der Organisation aufzuzeigen. Das Ziel besteht darin, eine Organisation zu schaffen die Risikomanagement aktiv praktiziert, unterstützt, vorantreibt und die notwendigen Strukturen schafft, um Risikomanagement effektiv umzusetzen.
Aus einer Untersuchung des Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) 2021-2022, deutscher Kliniken geht hervor, dass das klinisches Risikomanagement nicht immer systematisch in die strategischen Prozesse der Einrichtungen integriert war. Es gibt Bereiche im Risikomanagement, die nicht miteinander kommunizieren. So sind auch sogenannte Silo-Strukturen in deutschen Krankenhäusern keine Seltenheit. Es fehlt oft die Erkenntnis, dass mit der Umsetzung klinischer Risiken auch finanzielle Konsequenzen einhergehen können (vgl. Bartz, 2022, S. 293-299). In der Praxis wird deutlich, dass Risikomanagement häufig aufgrund unterschiedlicher Vorgaben und Regulierungen scheitert oder von Entscheidungsträgern als rein theoretisches Konzept oder Pflichtübung betrachtet wird.
Dies sind nur einige der Gründe, warum RM häufig noch nicht entsprechend als „Enabler” erkannt und verstanden wird. Es fehlt an holistischer Umsetzung und Integration des Risikomanagements in allen Bereichen und Ebenen. Ergebnisse sind in negativer Ausprägung dann sogenannte fragmentierte RM-Systeme oder ein Silo- RM.
Problemfeld 1: Nicht vorhandene Integration des Risikomanagements in strategische oder Führungsprozesse des Krankenhauses
Die Aufbauorganisation des Risikomanagements in Deutschlands und Österreichs Krankenhäusern findet sich meist in Stabstellenform. In vielen Fällen ist durch diese Stabsstelle simultan auch das Qualitätsmanagement, sowie evtl. auch Prozessmanagement und Beschwerdemanagement abgedeckt. Nicht selten wird in der Stabstelle klinisches Risikomanagement ohne Mündung in Führungs- oder strategische Prozesse betrieben. Im Rahmen von Überprüfungen oder Audits können von den dort ansässigen MitarbeiterInnen oft keine Antworten auf die Fragen gegeben werden, warum sie nicht in strategische Planungs-, Steuerungs- oder Evaluierungsprozesse eingebunden sind. „Vielerorts ist Risikomanagement nur in Ansätzen in die Unternehmensstrategie integriert” (Hellmann et al., 2020, S. 42). Wird die oberste Krankenhausführung gefragt, äußert diese manchmal die Ansicht, dass das Controlling bereits existiert und finanzielle Risiken behandelt werden, weshalb ihnen nicht klar ist, warum ein Risikomanagement oder die Einbindung der Stabstelle RM erforderlich ist.
Des Weiteren zeigt die Praxis, dass auf Managementebene diverser Gesundheitseinrichtungen oftmals Aussagen getätigt werden wie: „Wir haben Checklisten und erheben auch PatientInnenstürze”. Aus der Aussage wird unmittelbar klar, dass hier das Verständnis dafür, was Risikomanagement, vor allem ein übergreifender RM-Ansatz, in einer Organisation ist, fehlt. Die Thematik wurde besonders in Deutschland von manchen AutorInnen, oder im Rahmen von Umfragen punktuell erfasst. Risikomanagement in Krankenhäuser ist meist noch von einem reaktiven Ansatz geprägt. Ein unternehmensweiter, umfassender Ansatz auf strategischer Ebene wird so selten in Krankenhäusern gelebt oder erkannt (vgl. Euteneier, 2015, S. 253).
Bei der rezenten und thematisch optimal dazu passenden Befragung des APS 2021- 2022, wurde erfragt, ob es verbindliche festgelegte strategische Ziele für das Risikomanagement in Ihrem Krankenhaus gäbe.
Es antworteten 66 % (Ergebnisse aller Allgemeinkrankenhäuser zusammengefasst), dass es diese in systematischer (44%) oder unsystematischer (22%) Ausprägung gibt. Auch ist die Bandbreite zum Begriff unsystematisch hoch und dies könnte viel bedeuten. Lässt man diese Variablen außer Acht, bleiben 34 % der deutschen Krankenhäuser, in denen keine Integration des Risikomanagements in strategische Prozesse oder Ziele stattgefunden hat. Antworten, die für die strategische Integration von RM besonders relevant sind, wurden vom Autor gelb umrandet.
Abbildung: Ergebnisse der Befragung: Strategien und Ziele des kRM (alle allgemeinen Krankenhäuser zusammengefasst), KHaSiMiR 21, APS, 2022, S.16
Im Umkehrschluss kann festgehalten werden, dass Risikomanagement ohne dazugehörige strategische RM-Ziele, auch keine strategische Rolle in der Organisation spielen kann. Zudem kann diese Erkenntnis als Indikator dafür dienen, auf welche Ebene und in welchen Prozessen das RM positioniert ist, ob es sich auf der operativen oder strategischen Ebene befindet. Ein weiteres bestätigendes Kriterium dieser Annahme ist, dass oftmals operative RM Instrumente, operative Verfahren und in weiterer Folge operative RM-Besprechungen, Reports und Abstimmungen in der Praxis stattfinden.
Der RM-Fokus oder Scope mancher Krankenhäuser ist also stark operativ geprägt, dadurch ergibt sich simultan keine realistische Chance, den reaktiven, in einen proaktiven RM Ansatz zu transformieren.
Problemfeld 2: Heterogenes Know-how der Risikoverantwortlichen und eingeschränkte RM-Zeit- und Personalressourcen
Die Praxis zeigt, dass es RisikomanagerInnen von Gesundheitseinrichtungen zum Teil an Ausbildung und Know-how-Kompetenzen mangelt, um ein Risikomanagement aufzubauen oder zu etablieren. Sollten klinische RisikomanagerInnen des Hauses mit dieser Aufgabe oder gar mit dem Aufbau eines unternehmensweiten Risikomanagements betraut werden, bedarf es einiger Ausbildungen und Kompetenzen. Ansatz der Krankenhausleitung sollte es sein, entsprechend Ressourcen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von RisikomanagerInnen oder Chief Risk Officern zu investieren. Ein zweiter, damit im Zusammenhang stehender Aspekt, ist die Besetzung von diesen Posten mit entsprechend kompetenten Personen.
Hierzu bedarf es jedoch der „Awareness“ und der Priorisierung des Themas sowie der Ressourcen/Gehaltsplanung solcher Stellen (vgl. Hunziker et al., 2022, S. 139). Im Krankenhaus ist die Disziplin des Qualitätsmanagements und dazugehörige Ausbildungen inkl. dazugehöriger Strukturen seit Jahrzenten etabliert. Das Risikomanagement und Compliancemanagement befindet sich im Vergleich dazu ganz am Anfang. Der „Neubeginn“ bezieht sich hier auf Fort- und Weiterbildung in diesem Bereich, als auch in der praktischen Umsetzung (vgl. Euteneier, 2015, S. 74).
Die bereits zitierte große Befragung deutscher Krankenhäuser weist auch in Bezug auf den Ausbildungsgrad von Leitungen und MitarbeiterInnen von RM Teams Defizite auf. Einerseits bestätigt es die thematische Dominanz des Themas „Qualitätsmanagement“, andererseits zeigen die Daten (alle AKHs zusammengefasst), dass nur 59 % der befragten RM Leitungen und 42% der RM MitarbeiterInnen eine RM Weiterbildung erfahren haben (vgl. APS, 2022, S. 26). Vielmehr stellt sich die Frage, wer der anderen 41 % der RM Leitungen oder 58% der RM MitarbeiterInnen, Risikomanagement im Krankenhaus plant, integriert und steuert und vor allem auf welcher Grundlage.
Des Weiteren muss hier kritisch bemerkt werden, dass das RM- Ausbildungsangebot sehr breit gefächert ist. Fakt ist, dass z. B. eine gängige Risikobeauftragten- Ausbildung, im Schnitt 1-2 Tage, definitiv nicht ausreicht, um das gesamtheitliche, konzeptionelle Wissen und Know-how aufzubauen, welches notwendig ist, um ein z. B. ein unternehmensweites Risikomanagement zu etablieren. Abgesehen davon, ist der Großteil des Ausbildungsprogramms zum Thema Risikomanagement im Krankenhaus meist sehr operativ und Großteils auf klassische PatientInnensicherheitsrisiken zugeschnitten.
Der Aufbau eines profunden Verständnisses, sowie eines theoretischen Backgrounds zur Implementierung und Betreibung eines holistischen Ansatzes, welcher Bereiche wie Technik, Compliance, Rechtsrisiken usw. umfasst, ist hier de facto unrealistisch. Man kann erkennen, dass Krankenhäuser mit einem hohen RM-Reifegrad den Bedarf und die Anforderung nach profunden, umfassenden RisikomanagerInnen- Ausbildungen erkannt respektive systematisiert haben.
Ein zweiter, im Zusammenhang stehender,- defizitärer Aspekt im Zusammenhang mit RM-Ressourcen ist unzureichendes Personal zur Umsetzung und zum Betreiben eines Risikomanagements im Krankenhaus. So gibt es im Bereich der Hygiene oder im Bereich der verpflichtenden Qualitätssicherungskommission gesetzliche Vorgaben, im Bereich der RM-Personalausstattung jedoch nicht. Möglicherweise gibt es Gründe für den Gesetzgeber sowie für das Krankenhausmanagement hier eine Art Vakuum an Mindestvorgaben zu tolerieren. So haben sich manche KrankenhausmanagerInnen und RisikoexpertInnen den Kopf darüber zerbrochen, wie man einen möglichen Personalschlüssel für RisikomanagerInnen berechnen oder argumentieren kann. Die Praxis zeigt ebenso immer wieder, das RM on Top zur normalen Funktion und Aufgabe miterledigt wird.
Betrachtet man frühere oder aktuelle Stellenausschreibungen für RM*Innen im Gesundheitswesen, wird bereits auf den ersten Blick in der Gehaltsspalte deutlich, welchen Stellenwert die Position des RM vereinzelt hat. Es gibt Überlegungen von Experten, dass in einem Krankenhaus eine Vollzeitkraft pro 400 Betten ausschließlich für das RM zuständig sein sollte, ohne zusätzliche Verantwortung für Qualitätsmanagement (QM), Projektmanagement (PM) oder Beschwerdemanagement Es gibt einige wenige Ausnahmen in Österreich, wo der bedeutende Aspekt des Risikomanagements auch monetär adäquat abgegolten und wertgeschätzt wird.
Ebenso gibt es österreichische Krankenhäuser, in denen eine einzige Person die Agenden QM, RM, Fehlermanagement, Beschwerdemanagement und, wenn thematisch integrierbar, die Begleitung von IT-Projekten abdeckt. Abgesehen von ganz klaren Aussagen solcher RisikomanagerInnen, dass von einem proaktiven RM-Ansatz keine Rede sein kann, zeigt dies die Absicht mancher KrankenhausmanagerInnen, alle notwendigen, förderlichen oder auch „lästigen” Agenden unter dem Deckmantel des Qualitäts- und Risikomanagements zu vereinen. Pro forma wird auf Wunsch alles abgedeckt. Die Frage, die sich dahinter verbirgt, nämlich die Frage nach der Effizienz des Risikomanagements bei einem solchen Ansatz, würde mit Sicherheit viele weitere Artikel füllen.
Ein weiterer Aspekt, der erwähnt werden sollte, ist die „Awareness“. Um PatientInnenrisiken effektiv beeinflussen zu können, müssen kritische Abläufe, Prozesse und Tätigkeiten sowie das entsprechende Verhalten jedem Akteur am PatientInnenbett – unabhängig von der Profession – bekannt und vertraut sein. Aussagen von MitarbeiterInnen wie, ja wir haben ein CIRS, ja es gibt eine Risikomatrix im Intranet, hat nur eingeschränkt mit Awareness zu tun.
Es sei darauf hingewiesen, dass der Artikel zwar Problemfelder behandelt, jedoch gibt es zahlreiche Vorzeigebeispiele, bemerkenswerte Risikomanagementsysteme sowie weit fortgeschrittene Themenfelder und Aspekte in Krankenhäusern, Rehabilitationszentren und Langzeitpflegeeinrichtungen. Ebenso ist festzuhalten, dass zahlreiche ProtagonistInnen, RisikoexpertInnen, Stabsstellen, innovative Führungskräfte sowie Plattformen in Österreich, Deutschland und der Schweiz maßgeblich an der stetigen Steigerung der Bedeutung und Relevanz des Themas Risikomanagement beteiligt waren und sind.
Wenn es der Organisation nicht gelingt, Risikomanagement auf MitarbeiterInnen- Ebene herunterzubrechen, sind die Zeit, Mühen, Kosten und Überlegungen, die bisher aufgewendet wurden, ein „riskanter“ Verlust.
Quellenverzeichnis
Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), Berlin: KHaSiMiR 21 – Krankenhausstudie zur Sicherheit durch Management innerklinischer Risiken 2021-22, Bericht 1, 2022
Bartz, H-J.: Entwicklung des klinischen Risikomanagements in deutschen Krankenhäusern; Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz Volume 65, 2022
Euteneier, A.: Handbuch Klinisches Risikomanagement. Berlin: Springer, 2015
Hellmann, W., Ehrenbaum K.: Umfassendes Risikomanagement im Krankenhaus. Berlin: Medizinisch Wissenschaftlicher Verlagsgesellschaft, 2011
Über den/die Autor/In
Walter Petschnig ist Risikomanager im Sanatorium Hera der KFA Wien. Im Jahr 2017 gründete er die Risikoberatung „Saferhealthcare“ für operatives und strategisches Risikomanagement. Als Netzwerkpartner der Quality Austria ist er Lead Auditor, Trainer und Prüfer sowie nationaler und internationaler Ansprechpartner zum Thema klinisches Risikomanagement. Im Rahmen von Vorträgen an Bildungseinrichtungen und Kongressen versucht er seit vielen Jahren, das Thema Patientensicherheit und Risikomanagement lebendig, greifbar und erlebbar zu vermitteln, unabhängig von Einrichtungstyp und -ebene. Magister Petschnig BSc MSc zählt zu den führenden Risikoexperten im Gesundheitswesen.
Mag. Walter Petschnig, BSc MSc
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